Wolter v. Egan-Krieger
Theodor
Freiherr von
Hallberg-Broich
Eine Lebensbeschreibung
ISBN 978-3-8334-9826-8
288
Seiten mit
Abbildungen in SW und Farbe
Herstellung und Verlag: Books on Demand GmbH,
Norderstedt
In dieser historischen
Abhandlung wird der Versuch unternommen, chronologisch und anhand der
reichlich
vorhandenen Archivalien, die Ziele dieses Mannes und sein Handeln im
seinerzeitigen Umfeld verständlich zu machen: Der Freiherr als
glühender Patriot,
der Kämpfer für Freiheit und Gerechtigkeit, der engagierte Anwalt für
Arme, der
Koloniegründer; schließlich der skurrile Sonderling. Seine zahlreichen
von ihm
verfaßten Bücher, die zwar mehr oder weniger der damaligen Zensur zum
Opfer
fielen, heute hingegen als seltene Originale allgemein zugänglich sind,
ließen
ebenso Rückschlüsse auf seine Person zu wie der behördliche
Schriftverkehr
anläßlich und während der Gründung des Ortes Hallbergmoos.
Um die
Widersprüchlichkeit seiner Person verständlich zu machen, wurde das
Buch in
zwei Teile untergliedert: Den chronologischen Lebenslauf Theodor
Freiherr von
Hallbergs, und in einem Ergänzungsteil seine Ansichten zu
Zeiterscheinungen wie
Modetorheiten, Armenwesen, Kunst etc. Gleichfalls zusammengestellt
wurden hier
seine aufsehenerregenden skurrilen Streiche und deren Wirkung auf die
Öffentlichkeit.
Theodor Freiherr von
Hallberg, der vor allem unter seinem Pseudonym als ‚Eremit von Gauting’
bekannt
wurde, ist heute weitgehend vergessen. Zwar erschienen seit seinem Tode
zahlreiche Veröffentlichungen über ihn und sein Wirken, doch keine
dieser
Veröffentlichungen kann in Anspruch nehmen,
die dunkel gebliebenen
Lebensabschnitte dieses Mannes ausgeleuchtet, geschweige die Motive
seines
Wirkens erhellt zu haben. Überwiegend stützen sich die bisherigen
Abhandlungen
auf Johannes Gistels Hallberg-Biographie: ‚Leben des preußischen
Generals
Freiherrn von Hallberg-Broich’, die 1863 in Berlin erschien. Diese
Beschreibung
besitzt allerdings nur bedingte Glaubwürdigkeit, ganz abgesehen von den
verwirrenden Nebenverweisen auf Parallelen, mit denen Hallberg nichts
zu tun
hat. Allein der Titel zeigt bereits, wie bedenkenlos Gistel mit der
Person des
Freiherrn umging, denn Hallberg war nie preußischer General. Was
allgemein
bekannt war und allenfalls Fremden nicht geläufig, hätte er als
Nahestehender
unbedingt wissen müssen. Ähnlich großzügig ging Gistel auch mit dem
übrigen
Stoff um, und ich mußte im Laufe meiner Nachforschungen feststellen,
daß viele
seiner Darstellungen und Deutungen nicht durch Nachlässigkeit allein
entschuldbar
sind.
Um es vorweg zu sagen:
Gerade die reißerischen Begebenheiten aus Hallbergs Leben wie die
sogenannte
Taubenschlaggeschichte und der anbefohlene Fenstersprung seiner Frau
sind durch
nichts anderes belegt, als durch Gistels Schilderung. Weder in der
bayerischen
Presse, noch sonst finden sich Hinweise darauf. So sollte es eigentlich
nachdenklich stimmen, der Aussage eines bereits damals umstrittenen
Chronisten
dermaßen bedingungslos zu vertrauen. Dennoch findet sich in der
‚Allgemeinen
Deutschen Biographie’ von 1968 unverändert die Behauptung: Die arme
Frau,
welche unter den seltsamen Eulenspiegeleien Hallberg-Broichs eine
unwürdige
Behandlung erlitt, starb ... an den Folgen eines Sprunges aus dem
Fenster,
welchen ihr Gemahl als Zeichen ihrer Liebe gebieterisch verlangte ...
Die fragwürdige Äußerung
eines Einzelnen haftet dem Freiherrn seit jener Zeit an, mehr als alles
andere,
und sie bestätigt eindrucksvoll die These von der Unauslöschbarkeit des
einmal
geschriebenen Wortes.
Gänzlich andersgeartet sind
die Aufzeichnungen Künßberg-Thurnaus, eines Enkels des Freiherrn, der
den Greis
bis zum Tode betreute und die noch vorhandenen Unterlagen posthum in
Buchform
herausgab. Für die nüchterne Darstellung des Lebenslaufes Hallbergs und
die
umfassenden Verweise auf Quellenmaterial kann Künßberg-Thurnau nicht
genug
gedankt werden. In diesen Schriften hört man Hallberg selbst
unverfälscht, da
der Herausgeber als naher Verwandter, wie er selbst einräumte, nicht
durch
eigenes Zutun in den Verdacht der Parteinahme geraten wollte. In all
ihrer
Nüchternheit und zwangsläufigen Unvollständigkeit sind diese
Aufzeichnungen
weitaus wertvoller, als jene Gistels, der den Freund Hallberg zunächst
aushorchte, um ihn dann zu mißbrauchen.
Wenige Wochen, allenfalls
Monate nach dem Tode Hallbergs im April 1862 gab Künßberg-Thurnau die
nachgelassenen Schriften heraus, und dieses rasche Erscheinen läßt
vermuten,
daß das Manuskript zum Zwecke der Veröffentlichung lange vorbereitet,
wenn
nicht gar fertiggestellt war. Die Zurückhaltung des Herausgebers, die
nicht nur
im Vorwort, sondern auch in dem unkorrigierten Nebeneinander der
hinterlassenen
Papiere zum Ausdruck kommt, läßt jedenfalls den Schluß zu, daß nach dem
Ableben
des Greises nichts von Belang hinzugefügt wurde. Insofern kann dieser
Nachlaß
als letzte autorisierte Fassung Hallbergs gelten. Dies gilt um so mehr,
als die
etwa dreißig Jahre zuvor Freund Gistel zur Veröffentlichung übergebenen
biographischen Notizen aus Hallbergs Hand nicht im Original erhalten
geblieben
sind. Entstellt wiedergegeben, in der chronologischen Abfolge
durcheinandergebracht, eignen sie sich nur bedingt zur Auswertung.
Vielleicht hat Hallberg das
geahnt. Die einstmals freundschaftlichen Bande zu Gistel dürften
zuletzt kaum
noch bestanden haben, und so mag der Freiherr seinem Enkel zur baldigen
Veröffentlichung
geraten haben. Und das zu Recht. Denn abgesehen von der erniedrigenden
Art, mit
der Gistel den einstigen Freund posthum bedachte, sind viele seiner
Darstellungen mit jenen aus den hinterlassenen Papieren Hallbergs
unvereinbar.
Hierzu ist noch weitaus mehr zu sagen, so daß ich mich entschloß,
Hallbergs
Biographen allgemein und Gistel besonders ein eigenes Kapitel zu widmen.
Aus den dargelegten Gründen
griff ich nur ausnahmsweise auf die biographischen Aufzeichnungen
Gistels
zurück; ausführlicher dagegen auf die zahlreichen Presseartikel, in
denen sich
der weitaus jüngere Freund dem älteren Hallberg seinerzeit andiente und
jenen
mitunter regelrecht in den Himmel hob.
Innerhalb meiner Recherchen
habe ich zwar manches Dunkel im Lebenslauf Hallbergs zu lichten
vermocht und
bin überraschend auf unerwartete Abenteuer gestoßen, – ein
überzeugendes
Gesamtbild von ihm zu zeichnen gelang mir allerdings nicht. Es schien
im
Gegenteil eher so, daß sich die Person des Freiherrn mir um so mehr
entwand, je
mehr ich über sie erfuhr. Mehr Zeugnisse zogen eben auch mehr
Widersprüche nach
sich. Erschwerend kam hinzu, daß diese Zeugnisse keineswegs
kontinuierlich über
sein langes Leben verteilt sind. So gibt es so gut wie keine
Aufzeichnungen
über die ersten vier Jahrzehnte seines Daseins, dafür erstickt man
förmlich in
Selbstzeugnissen des Fünfzig- bis Siebzigjährigen. In der Endphase
seines
Lebens wiederum nahm kaum noch jemand Notiz von ihm; lokale Randnotizen
in der
örtlichen Presse zeigen sehr vereinzelt an, daß Hallberg noch lebt.
Unverständliche und
nichtssagende Äußerungen ergaben im Zusammenhang mit dem aktuellen
Zeitgeschehen, mit früher geäußerten Zielsetzungen oder mit späteren
beiläufig
hingeworfenen Nebensätzen plötzlich Sinn. Einem zeitgenössischen
Chronisten
Hallbergs hätten sich bei der Auswertung seiner hinterlassenen Papiere
weitaus
weniger Hindernisse entgegengestellt. Künßberg-Thurnau hoffte auf
diesen
Chronisten, für den er das Vermächtnis des Greises zusammenfaßte. Den
anderen,
durch seine Originalitäten weitaus bekannteren Hallberg, überließ er
hingegen
gern denjenigen, die durch ihre schwunghafte, poetische Feder das
Interesse
noch mehr zu erhöhen wissen.
Den zeitgenössischen
Chronisten gab es nicht. Infolgedessen erscheinen viele der
rekonstruierten
Zusammenhänge zwar plausibel, sind aber nicht absolut sicher. Das ist
der Preis
für Versäumtes.
Durch die
Zugriffsmöglichkeiten, die uns inzwischen zur Verfügung stehen, sind
wir in der
Lage, an Archivalien, Geheimdokumente, überhaupt an Schrifttum
heranzukommen,
das den Zeitgenossen mit Sicherheit verschlossen blieb. Verloren ging
uns dafür
der geschichtliche Rahmen, in dem sich das damalige Geschehen vollzog.
Zum
Verständnis der seinerzeitigen Vorgänge und deren Bewertung mußte
dieser Rahmen
wiederhergestellt und zumindest andeutungsweise mitgeliefert werden.
Auf diese
Weise ließ sich Hallbergs chronologischer Lebensablauf weitgehend
rekonstruieren, seine widersprüchliche Persönlichkeit hingegen nicht.
Sein
Denken und Planen, Ungereimtes und Rätselhaftes wurde daher in Form
thematisch
zusammengefaßter Einzelbilder gesondert angefügt – auf der Grundlage
seiner
eigenen Worte. Diese Bilder zeigen die Vielfalt und Zerrissenheit
seines ganzen
Wesens in dermaßen verwirrender Weise, daß die Wertung dem Leser
anheimgestellt
bleiben muß.
Den
Charakterisierungsversuchen seiner Mitmenschen entzog sich Hallberg
schon
damals. Das lag auch daran, daß seine Zeitgenossen, einfache Leser,
Mitstreiter oder auch Freunde, ausnahmslos Fragmente seines Lebensweges
zu
sehen bekamen. Nur wenigen war ein Blick über sein augenblickliches
Betätigungsfeld hinaus vergönnt: Der Koloniegründer in Bayern und
der
militärische Kämpfer am Rhein waren schlicht unvereinbar miteinander.
Hallbergs
Vergangenheit blieb der bayerischen Bevölkerung weitgehend
verschlossen,
vielleicht geheimnisumwittert; undenkbar auch für alte Kampfgefährten,
daß der
agile Landsturmhauptmann stillschweigend die politische Bühne
verlassen haben
sollte, um den Blick auf versumpftes Terrain zu heften. Als
konspirativer
Abenteurer im politischen Bereich der europäischen Großmächte war er
sogar im
Rheinland weitgehend unbekannt, – geschweige denn, daß man dem
friedfertigen
selbsternannten Eremiten in der ländlichen Gautinger Idylle
Gefängnisaufenthalte in Paris und London zugetraut hätte. Und daß er
den
preußischen Gefängnissen knapp entgangen war, wußten ohnehin nur am
Geschehen
Beteiligte.
Nicht anders verhielt es
sich mit seinen zahlreichen Buchveröffentlichungen. Seine im Rheinland
verlegten Bücher blieben in Bayern unbekannt, viele seiner in
Süddeutschland
herausgegebenen ebenfalls. Die Zensur verhinderte die Verbreitung,
oftmals gar
das Erscheinen. Das geschah dermaßen gründlich, daß mitunter nur der
Titel
eines Buches überlebte.
Keinesfalls für die
Öffentlichkeit bestimmt war das Bild, das der Freiherr in seinem
Schriftverkehr
mit Regierungsstellen hinterließ. Kurioserweise fand er gerade im engen
Kreis
der Beamtenschaft oftmals verhaltene Zustimmung. Grenzübergreifend
dagegen war
seine skurrile Originalität. Das Heiratsgesuch im hohen Alter ließ den
Freiherrn weit über Deutschland hinaus zum Tagesgespräch werden. Über
Nacht
kannte ihn jeder. Doch eben nur den skurrilen Hallberg.
Als unzeitgemäß wertete man
seine politischen Bekenntnisse, die nach der Revolution 1848 auf
völlige
Verständnislosigkeit stießen. Und damit stellte er nicht nur seine
Zeitgenossen
vor Rätsel. Nach wie vor ist der ‚politische’ Hallberg kaum faßbar: Als
Anhänger der absolutistisch geprägten Staatsform trat er gleichfalls
für
Selbstverwaltung und Verfassung ein. Hallberg demaskierte die
preußische
Politik und brüskierte damit den preußischen König, doch verstand er
sein
Handeln als Dienst am Vaterland. Sein Tun richtete sich gegen den
unguten
Einfluß königlicher Ratgeber. Die Person des Königs blieb somit
unbehelligt.
Auf bayerische Verhältnisse war das freilich nicht anwendbar. Die
Landespolitik
bestimmte König Ludwig I. vor allem in eigener Person, und diese
Entscheidungen
fielen oftmals nicht im Sinne Hallbergs aus: Die Pressezensur, die
Konfiszierung
seiner Bücher, und letztlich der königliche Gnadenweg anstatt solider
Besiedelungspolitik. Zweifel am bayerischen Monarchen kamen Hallberg
dennoch
nicht, wohl aber an den Liberalisierungsbemühungen der
Ständeversammlungen.
Stellvertretend für die
Unfaßbarkeit seiner Person sei aus der ‚Neuen Deutschen Biographie’ von
1974
zitiert: Die Abenteuer und Seltsamkeiten im Leben von Hallberg, die
Vielzahl
und Mannigfaltigkeit seiner Unternehmungen und Absichten, seine ständig
und
sprunghaft wechselnden Anschauungen lassen sich kaum auf einen
gemeinsamen
Nenner bringen. Allenfalls könnte man ihn als einen – nebenbei auch
schriftstellernden – verschrobenen Weltbürger aus Charakterschwäche,
aus
Egoismus, Opportunismus und Geltungssucht bezeichnen, bei dem sich
freilich
auch Strömungen seiner Zeit übersteigert wiederfinden:
biedermeierliche
Eigenbrötelei und faustischer Tätigkeitsdrang, Europamüdigkeit und
Exotismus.
Schwer zu unterscheiden ist
darüber hinaus, wie häufig er sich, von seiner Umgebung bedrängt, in
bestimmte
Rollen flüchtete. Als Simplex hat er sich bezeichnet, er setzte sich
eigenhändig die Narrenkappe auf und hielt der Gesellschaft den Spiegel
vor. Das
geschah anläßlich seiner berühmt-berüchtigten ‚Gautinger Adresse’, als
ihn die
Wogen einer darüber verstörten Öffentlichkeit zu ersticken drohten.
Selbst die
Flucht unter die Narrenkappe konnte nicht mehr überzeugen; zu weit lag
der Narr
neben der Wirklichkeit. In unterschiedlicher Verkleidung trat er auf
und legte
doch alles schnell wieder ab. Vielleicht ist das Bild des Ritters von
der
traurigen Gestalt noch das treffendste. Vergeblicher Kampf gegen
Windmühlenflügel, ausgelöst gleichermaßen von absurden eigenen
Vorstellungen
wie mangelnder Weitsicht anderer.
Wie ein roter Faden
durchzieht das Streben nach einer besseren Welt sein Leben. Die
Beseitigung der
Armut in der zivilisierten Gesellschaft wurde regelrecht zur Mission.
Seine
Zielvorstellungen entstanden freilich weniger aus systematischen
Studien,
sondern viel mehr aus momentanen Eingebungen, wie manche seiner Notizen
verraten: Ich ließ einspannen und fuhr längs einem Arm der Donau
mit
pestilenzialischem Sumpf, den ich austrocknen und der Kultur gewinnen
ließe;
alle armen Mädchen müßten mir mit Haus und Hof, guter Kleidung, Land,
Kühen und
Wiesen und dem nöthigen Geld dotirt, heirathen, und so würde ich
anstatt
Bronzebilder, Gemälde und Steinhaufen zu schaffen, die Welt fröhlich
und
lebendig machen ...
Diese Zeilen schrieb nicht
etwa der zwanzigjährige Hallberg, sondern der siebenundsiebzigjährige.
Aus
demselben Jahr datiert eine Notiz, mit der Hallberg Kritik an seinen
Büchern
abwehrte: Die Rezensenten geben mir die schöne Lehre, daß ich meine
Länderbeschreibungen nicht systematisch nach Art aller
Reisebeschreibungen
mache ..., ich schriebe alles durcheinander, ganz ohne
wissenschaftliche
Bildung ... Aber ich bleibe meiner Art zu schreiben treu, weil ich die
Pedanterie verabscheue und das Alltägliche ... gern den Neulingen
überlasse ...
Derartige Aussagen,
übertragen auf seine Projektierungen, mußten ohne pedantische Vorarbeit
unausgereift wirken, und die Vernachlässigung banaler Alltäglichkeiten
konnte
unabsehbare Folgen haben. So blieb es nicht aus, daß Hallbergs Konzepte
nie
restlos überzeugten. Am Detail schieden sich die Geister.
Bereits seine Kinder- und
Jugendzeit war durch auffallende Rastlosigkeit bestimmt: Kaum drei
Jahre
Gymnasium, dann in frühester Jugend soldatische Ausbildung; wenige
Monate
Gasthörerschaft in diversen Universitäten. Mit fünfundzwanzig Jahren
hatte er
sich Einblicke in alle Welt verschafft. Im Gegensatz zu den berühmten
Forschungsreisenden war das Reisen bei ihm freilich eher ein spontanes
Umherirren denn ein zielgerichtetes Tun. Ein pures Sammeln von
Meinungen und
Eindrücken. Schließlich hatte er den Horizont eines Vielgereisten, –
ohne sich
ein eigentliches Betätigungsfeld geschaffen zu haben. Die Ideenvielfalt
Hallbergs, seine Visionen, standen in keinem Verhältnis zu seinem
Vermögen,
gewachsene Zusammenhänge grundlegend zu begreifen und deren
Reformierung auf
Machbares zu beschränken. Das allein aber wäre noch nichts Besonderes
gewesen.
Erst eine weitere Eigenschaft machte ihn zu einer tragischen Figur:
Seine
unglaubliche Willens- und Tatkraft, die ungezügelt gelassen, vermutlich
Schlimmes bewirkt hätte. Damit zwang er die Gesellschaft, ihn zu
beachten.
Das Urteil über ihn in der
‚Neuen Deutschen Biographie’ dürfte einige Berechtigung haben, wenn es
darin
heißt, seine wirre Denk- und Gemütsart rührte daher, daß er über
seine mangelhafte Bildung hinwegtäuschen wollte.
Die solide Grundlage eines
Wissenschaftlers fehlte ihm, Einzelheiten, geschweige denn
Widersprüchlichkeiten seiner Ideen, nahm er nicht zur Kenntnis oder
bagatellisierte sie. Hindernisse pflegte der Freiherr durch kurz
entschlossene
Sofortmaßnahmen zu beseitigen, ohne die Belange Betroffener zu schonen.
Das
ging allenfalls im militärischen Bereich, und auch dort nur bedingt.
Sein
pragmatisches Vorgehen in Siegburg anläßlich des Durchmarsches der
russischen
Verbündeten, das ihm von allen Seiten Anerkennung eintrug, wurde denn
auch
geradezu zu einem Muster für seine späteren Vorhaben. Kurz mußte der
Lösungsweg
sein und unmittelbar sichtbare Früchte tragen. Der Preis dafür war
zweitrangig.
Übertragen auf Friedenszeiten in einer Gesellschaft mit erwachendem
politischen
Selbstbewußtsein konnte ein solches Modell freilich nur Kopfschütteln
hervorrufen. Das absolutistische Zeitalter gehörte der Vergangenheit
an. Nur
der Krieg rechtfertigte Ausnahmen. Doch selbst im militärischen Bereich
haftete
dem Tun des Feldobristhauptmanns des Landsturmes vom Rhein stets das
Fluidum
des Abenteurers an, das er nie abzustreifen imstande war.
Dagegen ist die geäußerte
Ansicht von Schaehle, der ungeheuren Schaffenskraft Hallbergs habe das angemessene
Tatfeld gefehlt, sicher absurd. Hallberg lebte in einer Zeit, in
der
vielmehr ungeheure Umwälzungen stattfanden, die Betätigungsfelder noch
und noch
boten. Er erlebte die Französische Revolution und ihre
gesellschaftlichen
Turbulenzen, den napoleonischen Sturm über Europa, die
Befreiungskriege, die
Restauration und schließlich die Revolution 1848; militärisch,
politisch, ganz
zu schweigen von den immensen sozialen Aufgaben, die anstanden. Es lag
vielmehr
an ihm selbst, daß er seine Glaubwürdigkeit in Frage stellte, indem er
durchaus
anerkennenswerte Denkanstöße mit Absurdem vermengte – und beides
gleichermaßen
ernsthaft vertrat.
Aus den Einblicken in
fremde Kulturen und seinem Wissen über politische Zusammenhänge
resultierten
Ansichten, mit denen Hallberg das Interesse der Machthabenden wecken
konnte.
Das genügte zum Empfang und zur Anhörung; zu mehr allerdings nicht. Die
wenigen
Zeugnisse aus Zusammenkünften und Korrespondenz mit Staatsoberhäuptern
sprechen
eine deutliche Sprache. Obwohl seine politischen Verbindungen
weitverzweigt,
die höchsten Machtstellen in Europa ihm erreichbar waren, blieb er ohne
erkennbaren Einfluß; kurze, im Grunde nichtssagende Augenblicke auf
höchster
politischer Ebene. Vermutlich trat er mit Intellektuellen,
Militärexperten oder
Reformern wie Arndt, Gneisenau, Hardenberg oder Stein nur flüchtig in
Verbindung. Auf französischer Seite war es nicht anders: Angesicht in
Angesicht
stand er Napoleon nie gegenüber, möglicherweise den Brüdern des
französischen
Kaisers und einigen seiner Marschälle. Doch allen damals bekannten
Größen, vor
allem aber den gekrönten Häuptern Europas war er ein Begriff – ob nun
als
geschätzter Ratgeber, Abenteurer oder unbequemer Mahner.
Was ihm europäische Höfe
verwehrten, bekam er im Osmanischen Reich zur Genüge. Hier fand er ein
rückständiges Imperium mit veralteten feudalen Strukturen, das einer
dringenden
Reformierung bedurfte. Europäische Militärberater wurden
willkommengeheißen in
einem Land, das hinter der modernen Kriegs- und Waffentechnik
hoffnungslos in
den Rückstand geraten war. Das einstmals so mächtige und gefürchtete
Osmanische
Reich stand im Begriff, zum Spielball französisch-russischer
Imperialpolitik zu
werden. Um so mehr wog der Rat eines Napoleongegners, dem beste
Verbindungen zu
europäischen Herrscherhäusern nachgesagt wurden. Der Bey von Tunis
schätzte
Hallberg und sein Wissen und tat alles, ihn am Hof zu halten. Bei den
Bassas
von Skutari und Belgrad fand er gastliche Aufnahme – ohne daß man
freilich
seinen Planspielereien zur Eroberung Italiens und Korsikas nachzukommen
vermochte.
Jahrzehnte später erwies der Freiherr dem eigenwilligen türkischen
Statthalter
und Vizekönig Mehmed Ali in Ägypten seine Reverenzen – und wurde
ehrenvoll
empfangen; der Sultan von Konstantinopel war ihm gewogen, und als
Sechsundsiebzigjähriger
fand Hallberg die Gunst des Kaisers von Persien, der ihn ebenfalls zu
dauerhaftem Bleiben zu überreden suchte. Sein Betätigungsfeld aber
sollte in
Mitteleuropa bleiben – ungeachtet aller Verlockungen im Orient.
Durch seine Appelle zur
Förderung des allgemeinen Staatswohls konnte Hallberg die
Aufmerksamkeit weiter
Bevölkerungsteile gewinnen. Die Entwässerungen von Sumpfgebieten, seine
Besiedelungsvorhaben, ja selbst seine Ansichten zu Kanalprojekten lagen
im
Trend der Zeit. Der zunehmende weltweite Schiffsverkehr ließ nach
kürzeren
Handelswegen suchen, die Dampfschiffahrt eröffnete Möglichkeiten zur
Passage
enger Kanalwege. Merkantile Gesichtspunkte und neue Erkenntnisse auf
dem Gebiet
der Feldbewirtschaftung ließen die anstehenden sozialen Probleme lösbar
erscheinen. Landgewinnung durch Entsumpfung und Bereitstellung von
Landflächen
war zu einer immer dringlicheren Aufgabe in Europa geworden, um der
Abwanderung
in die Neue Welt entgegenzuwirken.
Während von eigener Hand
geleitete Kanalbauten für Hallberg Wunschdenken blieben, konnte er die
anderen
Bereiche realisieren, wenn auch in weitaus bescheidenerem Umfang als
gewünscht.
Großprojekte wie die angestrebte Trockenlegung der Maremmen oder
pontinischen
Sümpfe Italiens zerschlugen sich zwar, doch fand er Ersatz im Erdinger
Moos vor
den Toren Münchens. Größenordnungsmäßig war das in keiner Weise
vergleichbar,
eher schon mit dem Donaumoosgebiet, dessen Trockenlegung und
Besiedelungsbeginn
bereits Jahrzehnte zurücklag. Während er jenes Unterfangen aber stets
als
Mahnmal eines gescheiterten Vollzuges ansah, verstand Hallberg die
Trockenlegungsmaßnahmen Friedrichs II. in der Oderniederung und die
damit
verbundene Ansiedelung als Vorbild für die eigene Planung.
Es ist eine Ironie
ohnegleichen, daß Hallberg sein Konzept bei diesem Unterfangen
tatsächlich
weitsichtiger anlegte, als die Gegebenheiten es zuließen. Nicht etwa,
weil er
zu einer Systematik gefunden hatte, sondern weil sein Konzept das
einzige war.
Es wurde verworfen, ein staatliches aber nie erstellt. So war ihm am
Ende
nichts vergönnt: weder Erfolg, noch Scheitern. Daher ist es Hallberg
nicht
anzulasten, daß sein Kolonisierungsprojekt zu einer Kopie der
unglücklichen
Donaumooskultivierung werden mußte. Genau diesen Vorwurf erhob man aber
– mit
Billigung der bayerischen Staatsführung, die dankbar den Schuldigen in
seiner
Privatperson ausmachen ließ und den Richtigstellungsversuchen des
Freiherrn in
öffentlichen Blättern die Mittel der Zensur entgegensetzte. Ein
Jahrzehnt lang
konnte so das eigene Versagen verborgen bleiben, und als die
Pressefreiheit
Wirklichkeit wurde, war Hallberg des Kampfes müde geworden. Der
Achtzigjährige
überließ es seiner Kolonie, den mittlerweile kaum noch zu revidierenden
Vorurteilen über seine einstigen Absichten, Planungen und Ziele im
Erdinger
Moos entgegenzutreten. Freilich: angesichts eines neuen, nie erlebten
politischen Selbstbewußtseins und einer verheißungsvollen Zukunft
zeigte man
kaum noch Interesse an der Aufklärung einer dunklen Vergangenheit.
So starb Hallberg, fernab
von dem Dorf, das seinen Namen trägt, einsam auf seiner Burg
Hörmannsdorf in
Niederbayern, – als letzter Zeuge einer längst vergangenen Zeit. Alle
hatte er
überlebt: Geschwister, Ehefrau und Kinder – und zuletzt sich selbst.
Vergessen
von seiner Mitwelt, beladen mit dem Makel eines gescheiterten Pioniers,
der
nachfolgenden Generationen ein drückendes soziales Erbe hinterlassen
hatte.
Als Dorfgründer mittlerweile halbwegs rehabilitiert,
lebt er in heutiger Erinnerung vorwiegend als der skurrile Sonderling
fort, der
sein Lebensbild einem fragwürdigen Biographen verdankt.
(Einleitung des
Verfassers für den ersten Teil des Buches).
Im folgenden seien hier
Abschnitte aus einigen Kapiteln des zweiten Teiles durch kurzen
Leseauszug vorgestellt:
1. Meister der guten Küche
2. Hallberg und die Medizin
3. Das Heiratsinserat
Meister der guten Küche
Wem
Gott ein Amt gibt, dem gibt er auch Verstand; deshalb
sagte die Königin Christine dem englischen Bischof Burnet: Es könne
nichts anderes
seyn, als daß die Kirche durch den heiligen Geist regiert werde, denn
sie habe
vier Päpste in Rom erlebt, von denen sie schwören könne, daß keiner
gesunden
Menschenverstand gehabt habe ...
Mit derartigen Schnurren lockerte der
Freiherr sein
Kochbuch für Leckermäuler auf, das freilich auch sonst keine
herkömmlichen
Speisen enthielt. Vielmehr bestand die darin zusammengestellte Kost aus
einem Sammelsurium
politischer Ansichten und bissiger Anekdoten, die unter dem
unverfänglichen
Titel ‚Deutsches Kochbuch für Leckermäuler und Guippees’ erschienen, um
auf
diese Weise die preußische Zensur zu täuschen.
Die Rechnung schien aufzugehen.
Jedenfalls gelangte die
Rezeptur ohne behördliche Behinderung in den freien Handel. Und bald
schon galt
das lukullische Werk als Geheimtip. Rezensionen in den Tages- und
Wochenblättern
folgten, und hierdurch erschlossen sich Leserkreise, die weit über den
unmittelbar
örtlichen Bereich hinausgingen. Innerhalb weniger Wochen erreichte das
Buch seine
dritte Auflage, und nun erst wurde erkennbar, was durch behördliche
Hilflosigkeit
und listenreiche Vorbereitung angerichtet worden war.
Was dem Publikum schmackhaft
erschien, erwies sich für
die Zensurbehörden als unverdauliche Kost, die es nun zu löffeln galt;
denn das
angestrebte posthume Verbot des Werkes scheiterte am
Paragraphendschungel der
Mixtur von Preußischem Landrecht und französischem Code pénal. Oder im
Klartext: Die rheinländische Justiz beugte sich nicht preußischem
Willen.
Zusammenstellung und Bedarf der
kredenzten
‚Rezeptsammlung’ bestätigten nur allzubald die schlimmsten
Befürchtungen der
neuen Herren in Berlin. Ein Werk, das unbekümmert und in schonungsloser
Offenheit
an kaum verhallte Versprechungen erinnerte, traf genau die
Volksstimmung.
Selbstverwaltung und Mitspracherecht bei der Neugestaltung einer
Verfassung hatte
man der Bevölkerung vor gar nicht langer Zeit zugestanden, und nun
flutete eine
Heerschar preußischer Beamter über das Land, die einheimische
Staatsdiener auf
niedere Posten schoben, um die Provinzen nach Kolonialherrenmanier
selbst zu
regieren.
Streng genommen enthielt das Buch
nichts Spektakuläres;
der Freiherr hatte lediglich auf eine originelle Art mancherlei
Begebenheiten
im Rheinland kommentiert und mit Zeugnissen aus Höchster Hand belegt.
Allgemein
verständlich gehalten, bot das lukullische Werk Speisen für jeden
rheinischen
Gaumen.
Doch nun zu den Einzelheiten. Als
Hauptmann mit
unbestreitbaren Verdiensten in den Befreiungskriegen hatte Hallbergs
patriotischer Eifer inzwischen erhebliche Dämpfer erfahren; mit
Bitterkeit
stellte er fest, daß sein selbstloser und beispielgebender Einsatz im
Kriege
zwar höchstes königliches Wohlwollen gefunden hatte, nach
Friedensschluß jedoch
sogleich in Vergessenheit zu geraten drohte. Nachhaltiger noch wirkte
die
fatale Erkenntnis, für eine Sache gekämpft zu haben, um die letztlich
das
gesamte Volk betrogen worden war. Hatte Hallberg seine soldatischen
Bravourstücke stets als patriotische Selbstverständlichkeit
heruntergespielt,
so mochte er die neuerliche Entwicklung nicht schweigend hinnehmen.
Schmackhaft
aufbereitet bot er daher die politische Nachkriegsentwicklung dem
Publikum in
Form des zweiteiligen Kochbuches an, das mit meisterlicher Garnierung
verschiedener Dokumente, auf Höchster Ebene verfaßt, allein durch die
chronologische Abfolge wirkte: Eine
sehr schöne Einrichtung im
königlich-preußischen Staate ist, daß jeder sich schriftlich an des
Königs
Majestät wenden kann, und daß Seine Majestät so gnädig sind, jedem
Unterthan
gleich zu antworten, wie aus folgender Cabinets-Ordre zu ersehen ist:
„An den Freiherrn von Hallberg zu Attenbach bei
Siegburg.
Es sind mir die verdienstlichen
Anstrengungen, mit
welchen Sie für die gute Sache auf vielfache Weise thätig gewesen sind,
nicht
unbekannt geblieben, und ich habe mich daher veranlaßt gefunden, solche
durch
Verleihung meines rothen Adler-Ordens der dritten Classe ...
anzuerkennen.
Zugleich ertheile ich Ihnen die Versicherung, daß Ihnen die erste
Landrathsstelle, welche in dem Bezirk der Regierung zu Cöln erledigt
werden
wird, conferirt werden soll ... Berlin, den 23. July 1816 (gez.)
Friedrich
Wilhelm“.
Was die roten Adler anbelangte,
so fand Hallberg später
die passenden Worte dazu; die Landratsstelle freilich ließ auf sich
warten, so
daß er sich entschloß, außerhalb des preußischen Territoriums sein
Glück zu versuchen.
Der bürgernahe Direktverkehr mit dem preußischen König ließ schnelle
Entscheidungen erwarten:
„An
den Freiherrn von Hallberg zu Lüttich.
Die ... von Ihnen erbetene
Erlaubnis, in
ausländische Dienste zu treten, kann ich nicht bewilligen. Berlin, 9.
Februar
1818 (gez.) Friedrich Wilhelm“.
Endlich wurde eine Landratsstelle
frei, und Hallberg
traf seine Vorbereitungen zu deren Übernahme. Doch der Freiherr erhielt
die
zugesagte Stelle nicht, wohl aber die Ablehnung aus Berlin, die ihm zur
Abschrift
überlassen wurde:
„An
den Oberpräsidenten Grafen zu Solms-Laubach zu
Cöln ...
Ich finde es auf Ihren Vorschlag vom
20. v. M. nicht
angemessen, dem Freiherrn von Hallberg die erledigte Landrathsstelle in
Rheinbach zu conferiren, die nachgesuchte Erlaubnis in
fremde Dienste zu
treten, will ich ihm indessen hiermit ertheilen. Aachen, den 9.Oktober
1818
(gez.) Friedrich Wilhelm“.
Die Publikation des Wechselspiels
königlicher Meinungen
hätte bereits genügt, das ‚Deutsche Kochbuch’ auf den Index
staatsgefährdender
Literatur zu setzen; allein Hallberg würzte seine Gerichte zusätzlich
und
servierte als Delikatessen rote Adler, die Feinschmeckern höchsten
Genuß
versprachen: Wenn einem reichen
Ornithologen des nächsten Jahrhunderts
zufälligerweise ein Zeitungsblatt vom Monat Dezember 1818 in die Hände
fällt,
wo fast auf jeder Seite von rothen Adlern die Rede ist, so wird seine
Neugier
außerordentlich aufgeregt werden ... ‚Johann, spann an’, wird es
heißen, ‚wir
wollen nach Nassau, wo die Fledermäuse herumfliegen; nach Trier, wo sie
wahrscheinlich in den Ruinen des schwarzen Thors dutzendweise nisten.’
– Und
wenn nun Johann ... dem Ornitologen erklärt, was es mit den rothen
Adlern
eigentlich für eine Bewandtnis habe, ... wird dann der Vogelmann ...
glauben
können, daß unser Jahrhundert das Philosophische war ...? Er wird
vielleicht
glauben ..., es sey noch die Zeit, wo Friedrich der Rothbart auf dem
... Kyffhäuser
Berge, mit dem Kopf nickend, mit
den Augen blinzelnd, die Schäfer
fragte: ‚Flattern die Raben noch um den Berg und muß ich immer noch
schlummern?’
...
Doch unvermittelt überkam den
Freiherrn der Groll: Orden
sind jetzt so in Mode wie ehemals die Medaillons der Damen. Viele
erhielten
sie, weil sie in den Hauptquartieren Pasteten gegessen, andere wissen
gar keine
Ursache davon anzugeben; man trägt sie wie einen Modeartikel, den man
wohlfeil
erhält, als wenn man ihn in den Pariser Mode-Läden gekauft hätte...
Der Freiherr hatte die preußische
Auszeichnung mit der
Begründung abgelehnt, daß Rote-Adlerorden auch an Personen gingen, die
als willige
Diener Frankreichs gegen den preußischen Staat gekämpft und erst bei
sinkendem
französischem Stern zu ihrer ursprünglichen Heimat zurückgefunden
hatten.
Verachtung empfand er daher gleichermaßen für Ordensverleiher wie
Dekorierte: Ich
kann mich des Lachens nicht enthalten, wenn ich einen Helden sehe, der
für und
gegen Deutschland die Auszeichnung seiner Verdienste in dem Ehrenkreuz
Napoleons und in dem Kreuz der deutschen Befreiung ruhig zusammen
aushängen
hat. Ein Held für und gegen die Unterjochung ...
Zur Abrundung servierte der Koch eine neu kreierte
rheinische Spezialität: Der größte Beweis der Glückseligkeit eines
Landes
ist immer, wenn sich viele Fremde da ansiedeln, und so können wir denn
in
unserm kleinen Rheinlande wohl sagen, daß wir sehr glücklich sind ...
Für eine Regierung, die ihrem Untertan einen
Verdienstorden zuerkennen wollte, war es gewiß ein harter Brocken,
derartige
Herbheiten schlucken zu müssen. Die Ablehnung der Auszeichnung allein
mußte
Zweifel an der Verdienstwürdigkeit eines jeden Staatsbürgers wachrufen;
die
restliche Rezeptur der Speisen jedoch stempelte den verwegenen Koch
ganz
fraglos zum Staatsfeind. Freilich hatte Hallberg noch vor Erscheinen
seines
‚Deutschen Kochbuches’ einen neuen Reisepaß beantragt, ein Vorgang, den
er
nicht weniger genußvoll aufzubereiten wußte ...
Hallberg und die
Medizin
... Wie hoch der Freiherr die eigene
Gesundheit einschätze,
und wie gering er jene anderer erachtete, zeigt die Aufzeichnung des
bayerischen Herzogs Max, dem Hallberg nur wenig später in Ägypten
begegnete: Dieser
Mann, beinahe ein Siebenziger, reiste ohne Diener und fast immer zu
Pferde oder
Esel. Als ich ihm darüber mein Befremden aussprach, erwiderte er
gelassen: Was
würde mir ein Bedienter nützen? Wenn er krank würde, hätte ich doch so
viel wie
keinen und wäre nur auf der Reise aufgehalten ...
Für seine große Reise nach Palästina
und Indien, die
der Freiherr als Achtzigjähriger antrat, nahm er nicht weniger Risiken
und
Strapazen auf sich. Seine Mitmenschen unterschätzten daher in der Regel
die
Rüstigkeit des Greises und wurden mitunter Opfer ihres eigenen
Fehlurteils: In
meinem Zimmer im Gasthofe erschien ein Herr, als ich müde von der Reise
bis
sieben Uhr morgens noch im Bette lag.
„Ich bin der Arzt ...“; ohne weiteres kam er ans
Bett, ergriff meine Hand, um nach dem Puls zu fühlen, wobei er die
wichtige
Miene eines Schafskopfes annahm.
„Sie haben starkes Fieber, ich werde Ihnen aber
etwas geben, daß sie in acht Tagen reisen können; haben Sie Papier,
Feder und
Tinte?“
„Es liegt da auf dem Tisch.“
Er schrieb und brachte mir das Recept.
„Hier, das lassen Sie in der Apotheke machen und
nehmen alle Stunden einen Löffel voll und bleiben im Bett liegen, ich
werde Sie
diesen Nachmittag wieder besuchen; es ist hier so Sitte, daß die
Reisenden
gleich den ärztlichen Besuch bezahlen, ich nehme für die Visite nur
zwölf
Franken.“
„Das ist mir lieb zu wissen, Herr Doktor,“ sagte ich
dem gelehrten Äskulap, „ich bin selber Arzt, aber ich bin nicht krank,
mein
Nachbar im Zimmer hier nebenan ist, wie ich gehört habe, krank, nehmen
Sie das
Recept mit, dann brauchen Sie kein neues zu schreiben ...“
Die Situation muß grotesk gewesen
sein. Ein blamierter
Scharlatan und sein hohnlachender Schalk, der dem Himmel für dieses
Geschenk danken
mochte. Genußvoll schilderte der Freiherr die Entgeisterung seines
habgierigen
Besuchers: Ich hatte nie ein
ähnlich verblüfftes Schafsgesicht gesehen,
sprang aus dem Bett und lachte laut; er bat mich, niemandem im Hause
etwas
davon zu sagen, was ich ihm endlich auch versprach ...
Kerngesund kam Hallberg Wochen
später in Palästina an,
und hier wandelte er sich, wiederum ohne eigenes Zutun, vom ‚Kranken’
zum Wunderheiler
der Beduinen: In einem ihrer
Lager, wo ich übernachtete, kamen sie
haufenweise zu mir, weil sie mich für einen Arzt hielten. Da ich aber
nichts
von diesem Handwerk kenne, so gab ich ihnen einige Kräuter, von denen
sie ... wenigstens
nicht ... gestorben sind ...
Die Nachricht von dem
ehrwürdigen Medizinmann aus
Europa verbreitete sich rasch: Sie
glaubten alle, daß ich von der
Arzneiwissenschaft große Kenntnis hätte, weshalb ich viele Besuche von
Kranken
erhielt, denen ich, wie bei uns die Ärzte, Hoffnung zum Besserwerden
verschrieb
...
Hoffnungen und Empfehlungen
freilich nicht ganz so
harmloser Art hatte er vor Jahren mit einer Zeitungsanzeige verbreitet:
Zur
Verbesserung des Tabaks (nicotinia) in Bayern und zur Anpflanzung auf
die
Möser, ... habe ich im vorigen Jahre Samen direkt aus Virginia
erhalten. Da ich
in diesem Jahre vielen gezogen, so ersuche ich die Freunde der Kultur,
sich an
mich zu wenden, um unentgeltlich Samen zu erhalten ... Da er vorzüglich
gut
ist, so lade ich alle Tabaksfreunde auf eine Pfeife Tabak höflichst bei
mir
ein.
Der Eremit von Gauting, jetzt zu Birkeneck.
Bemerken muß ich noch, daß die Blätter gegen
Krebs das einzige Mittel
sind ...
Das
Heiratsinserat
Nur wenige Monate nach dem Tode von
Hallbergs Ehefrau
waren in München Gerüchte umgegangen, eine Neuvermählung des Freiherrn
stünde
bevor. Wie das Gemunkel zustande kam und ob es einen wahren Kern
enthielt, ist
nicht mehr auszumachen; plausibler scheint es, daß hierbei ein
Spaßvogel seine
Hand im Spiel hatte, und möglicherweise hieß dieser Spaßvogel Hallberg.
Jedenfalls
erschien im ‚Bayerischen Volksfreund’ unerwartet eine Notiz aus der
Hand des
Freiherrn unter dem Titel ‚Liebes-Aventuren des Eremiten von Gauting’,
die
derartige Spekulationen in das Reich der Fabel verwies: Der Eremit
von Gauting
hat mir gesagt, daß einige Müßiggänger in München erzählt hätten, daß
ich ein
sehr schönes, junges, liebenswürdiges Fräulein heirathen würde, und daß
diese
liebenswürdige Schöne das selbst erzähle. Da nun der alte Graubart mein
sehr
guter Freund ist, so hat er mir aufgegeben, daß er dieses schöne
Fräulein zwar
vor etlichen zwanzig Jahren in einem Haus in München gesehen, seit
dieser Zeit
aber nicht mehr; daß er sie nicht mehr kennen würde, wenn er sie auch
sähe, und
daß er seinen Freunden sein Ehrenwort gebe, daß er als bekannter Eremit
lieber
barfuß zum heiligen Grabe pilgern würde. Er bittet also die ihm
persönlich ganz
unbekannte Schöne, sich lieber an einen Kapuziner, als an einen
Eremiten zu
wenden. Auf ausdrücklichen Befehl des Eremiten, der Freyherr von
Hallberg.
Weniger spekulativ äußerten sich
Leute, die dem
graubärtigen Greis ob seines unattraktiven Äußeren ohnehin keine
Lebensgefährtin mehr zutrauten, was der Freiherr schmunzelnd quittiert
haben
mag. So konnte es eigentlich nur eine Frage der Zeit sein, wann ein
neuerlicher
Anlaß zu einer entsprechenden Pressenotiz führen würde.
Ende des Jahres 1840 hatte Hallberg
sein Gut Birkeneck
verkauft und sich auf Dauer im ‚Schwarzen Adler’ in München
einquartiert. Es
war dies eine Nobelabsteige von gutem Ruf, in der Reisende aus dem In-
und
Ausland Quartier fanden. An diesem Ort sollte die aufsehenerregende
Aktion
ihren Anfang nehmen, die Hallberg, falls bis dahin noch nicht
geschehen, mit
Sicherheit europaweit bekannt machte.
In einer Gesellschaft von Freunden
waren wir unter
anderem auch auf das Heirathsthema gerathen, schilderte der
Freiherr zu
einem späteren Zeitpunkt die Einzelheiten. Die Herren neckten mich
ob meines
ehelosen Standes indem sie behaupteten, daß ich bei meinem ruhelosen
Leben
niemals eine Frau finden würde. Ich widersprach dieser Behauptung, und
nach
vielem Hin- und Herreden schlug ich eine Wette vor, daß ich binnen
sechs Wochen
die Wahl zwischen wenigstens zwanzig jungen Damen haben würde.
Dieser Ausspruch erregte allgemeine Heiterkeit,
jedoch wurde die Wette angenommen, der Einsatz betrug sechstausend
Gulden.
Natürlich waren meine Freunde äußerst gespannt darauf, wie ich mich aus
der
Affäre ziehen würde.
Die Gelegenheit, sich durch solch
glückliche Fügung in
Szene zu setzen, ließ sich der Freiherr nicht entgehen. Mit Sorgfalt
entwarf er
ein Brautwerbungsgesuch, das er umgehend dem ‚Bayerischen Eilboten’ zur
Veröffentlichung
einreichte. In diesem Münchner Blatt publizierte er seit langem, in der
Regel
ohne Einschränkungen.
Die Redaktion nahm das Inserat
ungläubig zur Kenntnis.
Und da auch die Zensurbehörde keine Bedenken zeigte, veröffentlichte
man das umfassende
Gesuch. Schmunzelnd konnte der Freiherr bereits wenige Tage später
feststellen,
daß auch andere Blätter den originellen Antrag aus dem ‚Eilboten’
übernommen
hatten und so für eine weite Verbreitung des Heiratswunsches sorgten:
Der Wunsch des
Eremiten von Gauting
Ich habe in einer schönen Gegend im bayerischen
Walde ... eine Hofmark mit einem neuen Schloß ... zum
Erbschafts-Geschenk erhalten.
Allein, wie artig es auch in Chameregg seyn mag, ... so finde ich es
doch sehr
langweilig, in den schönen Zimmern Niemand um mich zu finden, und
selbst in den
Spiegeln nur mich allein zu sehen. Ich habe also beschlossen, nach dem
Beispiel
anderer Narren, mich zu verheirathen ... Diejenige, die ich heirathe,
muß sechzehn bis zwanzig Jahre alt seyn, schöne
Haare, schöne Zähne und schöne kleine Füße haben, sie muß von
ehrlichen, braven
Eltern abstammen, und ihr Ruf ohne allen Makel seyn. Sie muß sich sehr
schön
und einfach in Seide oder Samt kleiden, aber durchaus in keine andern
Stoffe;
auch darf sie keine Ohrgehänge, Ketten, Ringe oder dergleichen Unsinn
tragen,
auch keine Pantoffeln, Hauben, Bänder, falsche Haare und dergleichen,
und nie
ihre Kleider nach der bestehenden Mode machen lassen, da es nichts
Dümmeres
geben kann, als dem Kühgang anderer Menschen zu folgen ... Sie
muß Reiten und Fahren können, oder es erlernen. Sie darf nie
Stricken, weil dieses Fingerspiel eine Maske gegen die Dummheit ist.
Sie darf
nur Musik machen, wenn sie es zur Virtuosität gebracht hat, da es
unangenehm
ist, das dumme einfältige Geklimper anzuhören ... Sie ist im Hause und
über alle
Ehehalten unumschränkte Herrin ... Sie muß mich überall auf Reisen
und wo ich hingehe, begleiten, weil es in meinem Gefühl eine Schande
für die
Männer ist, den Tag und ganzen Abend umherzulaufen und in Wirthshäusern
zu
schwelgen, indem die Frau allein zu Haus der Langeweile übergeben ist.
Dann
darf sie nicht, wie in den meisten Ehen geschieht, ihre
Weiblichkeit
vergessen und sich herablassen, ihren Mann zuerst zu liebkosen, wie
manches
schöne, edle Weib gezwungen ist zu thun, um ihren Tölpel bei guter
Laune zu
erhalten ... Sie erhält am Tage der Hochzeit in russischen und
preußischen Staats-Obligationen dreißigtausend Gulden, wovon sie aber
die
Zinsen jährlich nach ihrem Willen verzehren muß, weil nichts
abscheulicher ist,
als das schändliche Laster des Geizes. Sie darf nach Absprache nicht
Tanzen,
weil ich meine Frau nicht wie eine Närrin umherhüpfen sehen will. Wenn
sie
Vermögen hat, so will ich es nicht angeheirathet haben ...
Ich will nun auch von mir sprechen. Nach dem Calender
bin ich 70 Jahre alt, nach den Kräften aber erst 25. Immer froher
Laune, suche
ich die Freuden überall, wo die strengste Ehre es erlaubt. Wenn es nun
ein
schönes Mädchen gibt, welches sich mit einem alten Mann, der noch
frisch auf
den Knochen ist, zu Pferd, zu Haus und auf Reisen herumtummeln will, so
kann
sie mir schreiben und ich komme bis auf hundert Stunden von München,
aber nicht
weiter, um sie zu sehen und mich sehen zu lassen, wobei ich dann auf
mein
Ehrenwort verspreche, daß ihr Name nie genannt wird.
München, im Schwarzen Adler am 16. November 1840,
Theodor Freiherr von Hallberg zu Broich, Commenthur des
Michaeli-Ordens, Ritter
des St. Anna-Ordens, Feld-Obrist-Hauptmann am Rhein und an der Maas.
Die Aussicht, künftig als
Schloßherrin über einen Stab
von Bediensteten herrschen zu können, war nicht wenig verlockend und
ließ die
Vorstellung, die Zukunft an der Seite eines recht betagten Ehemannes
zubringen
zu müssen, rasch in den Hintergrund treten. Zwar galt der Eremit von
Gauting
nicht gerade als Partie und erschien vielen durch seine lächerlich
wirkende
Kleidung und sein beifallheischendes Gehabe eher abstoßend, doch der
gesellschaftliche Aufstieg, der hier durch Heirat geboten wurde,
überwog bei
weitem. Geschickt hatte er sich zudem als zwar konservativer, aber
toleranter
Brautwerber vorgestellt, der unumstößliche Grundsätze proklamierte,
hingegen
durchaus konsequent und gerecht erschien. Lediglich sein wahres Alter
hatte er
leicht geschönt: Nicht siebzig sondern gut zweiundsiebzig Jahre zählte
er
bereits ...
Was sich noch
anfänglich als Gaudi
mittleren Ausmaßes darstellte, nahm
freilich nach und nach Formen an, die alles bereits Dagewesene in den
Schatten
stellten. Unerwartet war das Echo nicht nur in der Damenwelt, sondern
in allen
gesellschaftlichen Gruppierungen quer durch die Geschlechter. Der
Freiherr und
sein Gesuch blieben das alles beherrschende Thema ...