Wolter
v. Egan-Krieger
Brücken und Brückenköpfe
Auf
Spurensuche in Hinterpommern
Nach den Fluchttagebuchaufzeichnungen von
Hans-Joachim v. Egan-Krieger
ISBN 978-3-8391-5142-6
168
Seiten mit Abbildungen
in SW und Farbe
Herstellung und Verlag: Books on Demand GmbH, Norderstedt
Rückblick auf
das Jahr 1945: Die letzten Wochen des
Krieges im Osten Deutschlands. Nach dramatischer Flucht aus Ostpreußen
folgt
zunächst die kurze Zeitspanne einer trügerischen Ruhe in Hinterpommern,
wo man
sich erneut einzurichten beginnt und auf die Rückkehr nach Ostpreußen
hofft.
Diese Phase wird Anfang März 1945 durch die Rote Armee abrupt beendet
und läßt
schon bald die Fortsetzung der Flucht aussichtslos erscheinen.
Nach
den
Aufzeichnungen des Treckführers Hans-Joachim v. Egan-Krieger,
meinem Vater, unternahmen wir jetzt, 64 Jahre später, die
Wiederbefahrung eines
Teilstücks der einstigen Fluchtstrecke in Hinterpommern. Beschrieben
werden die
stattgefundenen Veränderungen in den mittlerweile polnischen
Landesteilen,
wobei zusätzlich das Fluchtgeschehen um die seinerzeit nicht bekannten
militärischen Gegebenheiten ergänzt und kommentiert wird - nach
heutigem
Kenntnisstand.
Hier ein Leseauszug:
Mein Vater hatte hier einen Wehrmachtsoberst der Luftwaffe
kennengelernt, der nach Deep an die Regamündung wollte. Deep, das alte
Fischerdorf, vor 1933 ein Geheimtip für Ostseeurlauber, die
Beschaulichkeit liebten. Zu diesen stets wiederkehrenden Gästen hatte
auch ein berühmter Maler mit deutschen Wurzeln gehört: Der Amerikaner
Lyonel Feininger, von dem es zahlreiche Zeichnungen und Impressionen
der idyllischen alten, aber auch der umgestalteten Ostseeküste, ihren
Ortschaften und vielen historischen Gebäuden gibt.
Im Dritten Reich wurde die Gegend um die
Regamündung Militärgebiet: Ein Artillerie-Schießplatz entstand in Deep,
ein Fliegerhorst nur wenige Kilometer weiter östlich am Kamper See.
Gerade das Fischerdörfchen Kamp hatte mit der Anlage des
Wasserflugplatzes zu Beginn der Dreißiger Jahre sein Gesicht stark
verändert. Moderne Technik war in die ländlich ruhige Region gezogen,
und mit ihr hektischer Alltag mit fremdem Personal. Darüber hinaus
hatte man während der letzten Kriegsjahre in beiden Orten
KLV-Heimstätten für mehrere hundert Kinder geschaffen, jene
Kinder-Land-Verschickungseinrichtungen, die Stadtkinder vor den
zunehmenden Bombardierungen und sonstigen kriegsbedingten Auswirkungen
schützen sollten.
Das war jetzt nicht mehr gegeben. Die einstige Idylle im
Küstenbereich der Ostsee wurde nun selbst bedroht und hatte sich über
Nacht in einen Sammelplatz für Menschen jeder Altersgruppe verwandelt:
Vor allem für alte Menschen, Mütter mit Kindern und den Heimkindern,
denen mittlerweile jede andere Fluchtmöglichkeit verschlossen war.
Abermals hatte die Region in dieser kurzen Zeitspanne ihr Gesicht
verändert.
Der Fliegerhorst Kamp wurde zur
Rettungsinsel Tausender. Ein rasch eingerichteter Brückenkopf für eine
Luftbrücke nach Rügen, durch ein Dutzend Wasserflugzeuge vom Typ Do24
gebildet, machte es möglich. Diese dreimotorigen sogenannten
Großflugboote waren zur Rettung in Seenot geratener Menschen entwickelt
worden. Nun durften sie „Angestrandete“ aus den Ostgebieten retten. Mit
einem zugelassenen Transportvolumen von vierzehn Personen pro Maschine
hätte allerdings nur ein Bruchteil der Wartenden das rettende Ziel
erreicht. Daher blieben die Beförderungs- und Beladungsvorschriften
unbeachtet, der Zustieg dem Ermessen des jeweiligen Flugzeugführers
überlassen. Mitunter hoben die Maschinen mit über hundert Menschen an
Bord ab, was der Flugbootbesatzung angesichts der gefährlichen
Hecklastigkeit der Maschinen alles Können abverlangte.
In Anbetracht dieser Umstände ist es geradezu verwunderlich, daß
es bei einem einzigen schweren Unfall blieb. Vor den Augen Tausender
stürzte eine der überladenen Maschinen unmittelbar nach dem Start aus
etwa achtzig Metern Höhe in den Kamper See und versank augenblicklich.
Während die Blicke der entsetzten Menschenmenge auf die Absturzstelle
gerichtet waren, in der Hoffnung, Überlebende auftauchen zu sehen,
zeigte sich Minuten später lediglich der Teil einer Tragfläche an der
Wasseroberfläche. Für die 76 sich an Bord befundenen Personen war alles
vorbei.
Die Schockwirkung auf die Wartenden läßt sich vorstellen.
Gebannt noch vom majestätischen Anblick, den die startenden und
landenden Flugboote auf sie ausgeübt hatten, mußten sie jetzt mit
ansehen, wie rasch und ungeheuer tragisch das Schauspiel enden konnte.
Dennoch ging der Flugbetrieb ohne nennenswerte Unterbrechung weiter.
Unter dem herrschenden Zeitdruck und den übrigen Begleitumständen waren
derartige Unfälle einfach nicht auszuschließen.
Mein Vater hat den Fliegerhorst in Kamp in seinen Notizen nicht
genannt. Vermutlich wußte er nichts darüber, sonst hätten sicher
Überlegungen stattgefunden, zumindest einen Teil der Familie auf dem
Luftwege zu evakuieren. Erwähnung in seinen Aufzeichnungen fand nur
jener Luftwaffenoberst, der in Richtung Deep wollte. Dort lag auch der
Fliegerhorst, – wohl eher das Ziel des Offiziers.
Wenig verläßlich war zudem der Hinweis des Oberst, daß es in
Deep eine weitere Brücke über die Rega geben sollte. Vermutlich eine
Behelfsbrücke, so seine Aussage. Nähere Angaben hierzu konnte er
allerdings nicht machen, so daß mein Vater die Information sehr bald in
Zweifel zog.
Tatsächlich existierte eine Holzbrücke in Deep, von Pionieren
erbaut. Nicht für Schwerlastfahrzeuge, doch aller Wahrscheinlichkeit
nach für unseren Fluchtwagen geeignet. Diese Brücke verband aber
lediglich die beiden Ortsteile West- und Ostdeep. Weiterführende
Landstraßen oder Wege in Richtung Westen gab es nicht. Auch keine in
Richtung Süden. Hier hätte unsere Flucht wohl in den Sumpfgebieten, den
Sanddünen, oder am Strand der Ostsee ein Ende gefunden. Allenfalls zu
Fuß auf schmalen Dämmen wäre es für wenige Kilometer weitergegangen.
Die weitere Flucht zu Fuß? Mit kleinen Kindern und den Omas, die
sich auf unserem Wagen befanden? –
Oft genug hatten wir das bei anderen erleben müssen ...
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